Das Filmgedächnis der DDR
Für die Kinogänger in der DDR verband sich der Potsdamer Ortsteil „Babelsberg“ mit dem Film, so wie in den Jahrzehnten zuvor. Er war geradezu ein Synonym für das Filmemachen im Lande, an ihm kam kam nicht vorbei, wer Geschichten für das Kino erzählen wollte. Die 1946 gegründete DEFA, die alles bestimmende DDR-Filmfirma, übernahm das UFA-Studio und damit auch weitgehend die alte Struktur, mit festangestellten Dramaturgen, Regisseuren, Technikern, mit exzellenten Handwerkern in den Werkstätten, mit dem riesigen, noch heute genutzten Fundus an Requisiten und Kostümen. Die hervorragenden, glänzend ausgebildeten Schauspieler kamen meist aus den Ostberliner Theatern.
"Viele Kulissen wurden in den riesigen Studios gebaut, vor allem die Innenräume für ungestörtes Drehen, doch auch die Stadt Berlin wurde schnell als Ort der Geschichten entdeckt, die gespaltene, zerstörte, wiederaufgebaute Metropole, in ihrer Zerrissenheit und Unvollkommenheit ein Spiegel für die Kluft, die durch Europa ging. Berlin und Brandenburg, das als eigenständiges Land in der DDR nicht existierte, haben ein Filmgedächtnis. Hier lag das filmische Kernland der DDR, vor allem im damaligen Bezirk Potsdam und in Ostberlin. Alles fanden die Filmemacher hier vor, städtisches Leben und herrliche Landschaften, Kiezkultur, Dorfgemeinschaften, Fabriken und bäuerliches Leben.
„Die Orte, die Straßen und Plätze erzählen Geschichten vom Kino. Besonders oft richteten sich Kameras auf Berlin. In einigen der besten DEFA-Filme sind die Ostberliner Straßen und Plätze, alt oder neu, herausgeputzt oder vernachlässigt, die Hinterhöfe, Bahnstationen und Kneipen heimliche Stars. Die Künstler der DEFA drehten hier oft, Berlin war einer der wichtigsten Schauplätze, vor dem Babelsberger Studiotor gelegen und doch, wegen der Mauer, nur über einen Umweg zu erreichen: Die Hauptstadt der DDR, offener als der Rest der Landes, ein Stück Welt, umgeben von Provinz. Schon bald nach dem Krieg wurde Berlin wieder Filmkulisse. Am einstigen Stettiner Bahnhof, später in Nordbahnhof umbenannt, begann die DEFA-Geschichte und die Geschichte des deutschen Nachkriegsfilms überhaupt.
Der Antifaschismus war nicht nur ein Gründungsmythos der DDR, sondern auch ihrer Filmfirma DEFA. Bei solchen Stoffen herrschte wohl so etwas wie ein Konsens zwischen den Verantwortlichen, dem Publikum und den Künstlern, eine klare Haltung zum Wesen des Nazi-Regimes und seiner Verbrechen. Während es bei Gegenwartsthemen immer wieder zu heftigen Eingriffen und Verboten kam, schufen antifaschistische Geschichten auch eine gewisse Sicherheit, erlaubten in der Regel ein konfliktfreieres Arbeiten.
Wolfgang Staudte
Wolfgang Staudte, der immer im Westteil der Stadt lebte und zu einem der bedeutendsten DEFA-Regisseure wurde, drehte mit Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert in den Trümmern Berlins jene Geschichte vom Kriegsheimkehrer, der von seinem Gewissen gequält wird. Die Bilder der ausgebrannten Häuser, der Schuttberge auf den Straßen, bei den Nazis ein absolutes Film-Tabu, sprechen auch von den Verheerungen in den Seelen.
Wenig später drehte Gerhard Lamprecht seinen ebenso eindrucksvollen „Irgendwo in Berlin“, der erste DEFA-Film, der sich direkt an ein junges Publikum wandte. Der Film sieht sich wie eine Fortsetzung des Klassikers „Emil und die Detektive“, Regie ebenfalls Lamprecht, von 1931 an, auch dort jagte eine verwegene Truppe von Kindern einen Bösewicht durch die Stadt, in beiden Fällen sogar vom selben Darsteller gespielt: Fritz Rasp. Doch während in der Kästner-Verfilmung das alte Berlin schön, lebendig und weltstädtisch erscheint, ist es in dem Nachkriegsfilm nur noch eine einzige Trümmerlandschaft, in der langsam neues Leben erwacht. Das erfrischend natürliche Filmkind in der Hauptrolle wurde später einer der beliebtesten Tatort-Kommissare – Charles Brauer. Gedreht übrigens vor allem in der Krummen Straße in Charlottenburg, in der kein Stein mehr auf dem anderen stand.
Mythos Prenzlauer Berg

Der Prenzlauer Berg ist ein geradezu mythischer Kino-Ort, ein Biotop und Heimat wunderbar eigensinniger Menschen wie der Sängerin Sunny aus dem gleichnamigen Film (1980) von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase, eine der unvergänglichen DEFA-Filmfrauen. Sunny, von Renate Krössner gespielt, lebt nicht einfach nur hier – sie verkörpert den ganzen Prenzlauer Berg, wie er damals war und längst nicht mehr ist. Der Film hat ihn fast dokumentarisch aufbewahrt, diesen aufgegebenen Ort des alten Ost-Berlin, an dem die Uhren anders gingen. Für den Autor Wolfgang Kohlhaase, der auch Ko-Regisseur des Films war, stand der Prenzlauer Berg als Lebensraum für Sunny von Beginn an fest.

Das Ende der Illusionen


Knut Elstermann